A review by buchweiser
City of Masks by Mary Hoffman

3.0

Eigentlich wollte ich dieses Buch nicht rezensieren, weil es für mich zunächst in die Kategorie „ganz nettes Jugendbuch“ fiel. Doch seit ich es beendet habe, lässt mich die Idee hinter dieser Geschichte nicht mehr los.
Auf den ersten Blick scheint es ein typisches Teeniezeitreisebuch zu sein: schwächliche Junge findet sich im Schlaf plötzlich im Italien des 16. Jahrhunderts, wo er nach und nach zu einem Helden wird und sich nicht nur Verbündete, sondern auch Feinde macht.
Die Figuren sind nicht sehr vielschichtig und verhalten sich vorhersehbar. Auch die Welt unterscheidet sich nicht sehr von der uns bekannten.
Der Geschichte selbst fehlt es an einem allumfassenden Spannungsbogen. Hier und da gibt es aber aufregende Szenen, die das Interesse der Leser aufrecht erhalten.
Was aber wirklich sehr besonders hier ist, ist die Idee, wie Zeitreise stattfindet. So kannte ich sie bisher noch nicht. In allen Büchern, die ich zu diesem Thema gelesen habe, sind es Maschinen, die die Menschen vom Jetzt ins Damals versetzen.
Lucien jedoch benötigt lediglich einen Talisman aus der Vergangenheit (an den er zufällig geraten ist) und wandert dann in seinem Schlaf zurück ins Venedig des 16. Jahrhunderts.
Abgesehen davon, dass der Protagonist in seiner eigenen Zeit tagsüber nicht sehr ausgeruht ist, wenn er nachts Heldentaten vollbringt, gibt es einen weiteren sehr gefährlichen Aspekt: so lang der Junge im Gestern lebt, ist er im Heute in einem komatösen Zustand, aus dem er nicht geweckt werden kann.

SPOILER: Das geht eine ganze Weile gut, doch irgendwann wird er in Italien gefangen genommen und in der Gegenwart müssen seine Eltern davon ausgehen, dass seine Krankheit unheilbar geworden ist – und sie lassen ihn im Krankenhaus sterben.
Lucien ist nun in seiner eigenen Welt tot, lebt aber im 16. Jahrhundert weiter.
Abgesehen von einigen Ungereimtheiten bei diesem literarischen Kniff hat mich die Idee unerwartet aufgewühlt. Was wäre, wenn es tatsächlich möglich wäre? Im Jetzt sterben und im Damals weiterleben? Mein Gehirn verknotete sich regelrecht bei diesem Gedanken. Unser Bewusstsein ist mehr „abwesend“ als „anwesend“, was also ist Leben eigentlich? Und wie würde es den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte beeinflussen, würden wir in einer vergangenen Version unserer Welt weiterleben?
Ich wünschte mir, die Autorin hätte sich noch etwas mehr mit dieser Problematik befasst, doch in den anderen Bänden dieser Reihe schlüpft sie in andere Erzählungen mit anderen Charakteren. Schade. Ich weiß nicht, ob ich die nächsten Bücher irgendwann noch lesen werde, aber ich bin mir ganz sicher, dass dieses mich noch eine Weile verfolgen wird.