A review by andrea_ebers
In der Ferne by Hernán Díaz

5.0

Ja, ein Western! Und obwohl er sich einiger Elemente daraus bedient - ein außergewöhnlicher. Denn Diaz erzählt eine andere Geschichte. Von einem schwedischen Jungen, der das falsche Schiff betritt und an der West- statt der Ostküste Amerikas ankommt. Schon auf dem Schiff demonstriert Diaz dessen Ausgrenzung wegen sprachlicher Unkenntnis und setzt es später eindrucksvoll fort, indem er die wörtliche Rede erst benutzt, als Hakan die ersten Brocken Englisch versteht und spricht. Meine Güte, war ich erleichtert, als ich an dem Punkt ankam. Jetzt wird alles besser, dachte ich noch, aber gleich darauf wurde es das natürlich nicht. Denn Hakan hat keine Vorstellung davon, wo er ist, wie alt er ist, welchen Menschen er vertrauen kann und wie er an die Ostküste gelangen soll. Und mir erging es genauso, denn Diaz klärt den Leser nicht auf. Vielen Geschichten im Westerngenre kann man einen deutlichen Mangel an sentimentaler Tiefe vorwerfen, aber diese hier macht alles wieder wett. Mit einer Art Überlebensreflex und aus Instinkten heraus, gelingt es Hakan zwar gefährliche Situationen zu umgehen, ganz ausschließen kann er sie nicht auf seinem Weg nach Osten. Diaz beschwört dazu eine fast unerträglich Stille herauf, durch die Hakan sich vorwärts kämpfen muss: ein unerschlossenes Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich bin dem Autor sehr dankbar, weil er aus dem heranwachsenden Hakan keinen Helden werden lässt, sondern aufzeigt, wie es wirklich gewesen sein könnte. Denn Einsamkeit kann auf die Dauer alles verändern. Ich war tatsächlich berührt von der Figur und irgendwann reichte mir Hakans stille Gegenwart. Am Ende des Buches angekommen hätte ich gern noch weitere 200 Seiten gelesen – und das ist wohl eines der schönsten Komplimente, die man einem Buch machen kann.