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A review by missbookiverse
Im Königreich der Kälte by Sabine Reinhardus, Nick Lake
4.0
Ein Buch über den hohen Norden? Bei diesen tropischen Temperaturen? Ja, das ist absolut das Richtige, glaubt mir, es ist wie Kühlschrankkopfkino und zwar wirklich spannendes und gut geschriebenes.
Themen
Es geht um die Arktis, Inuits und ihre Legenden, Tiergötter/geister, ein wenig Zauberei, die Auslöschung der Menschheit und Familie.
Inhalt
Light ist ein ganz besonderes Mädchen, sie ist ein Albino und ihre Familie scheint zunehmend zu schrumpfen. An ihre Mutter kann sie sich gar nicht erinnern und ihr Vater ist seit einigen Monaten bei einer Expedition in die Arktis verschwunden. Nun bleibt ihr nur ihr treuer Freund und Vaterersatz Butler. Mit dem macht sie sich schlussendlich auch auf ins ewige Eis, um ihren Vater zu finden bzw. zu befreien. Denn ein grausiges Wesen – halb Hai, halb Eisbär – behauptet, dass ihr Vater dort von der Urkälte persönlich – namentlich Frost – festgehalten wird und nur Light ihn befreien kann. Es beginnt ein turbulentes Abenteuer, auf dem Light immer wieder an ihre Grenzen stößt. Sie lernt neue Freunde kennen, erfährt Unerwartetes über Butler und ihre eigene Vergangenheit, und begegnet schrecklichen sowie liebevollen Wesen, an deren Existenz sie bis dato gezweifelt hätte.
Charaktere & Beziehungen
Ganz groß steht hier natürlich das Mädchen Light im Vordergrund. Nicht nur ihr Albinoaussehen machen sie zu etwas besonderem, auch dass sie von zwei Männern aufgezogen worden ist, spiegelt sich in ihrem Charakter wieder. Light ist ein tapferes, selbstbewusstes Mädchen mit einem großen Herzen. Mir hat es super gefallen, wie sie sich immer wieder selbst Problemen stellt und sich nicht weinend in eine Ecke verkriecht. Natürlich hat sie auch Angst und Zweifel, aber in entscheidenden Momenten kämpft Light verbissen wie ein Eisbär. Sehr realistisch an ihrer Darstellung fand ich, dass ich als Leser mitbekommen habe, wie Light etwas lernt. Sie kann nicht einfach von vorneherein alles, sondern muss es (z.B. den Umgang mit einer Waffe) erst beigebracht bekommen.
Sehr ans Herz gewachsen sind mir Lights Begleiter Butler und Tupilak. Butler ist wie ein Vater für Light und man spürt die herzliche Beziehung zwischen den beiden vor allem am Anfang. Butler selbst hegt einige große Geheimnisse, die zwar relativ schnell klar sind, aber trotzdem interessant bleiben. Das Wesen Tupilak ist trotz seiner grausigen Gestalt umwerfend liebenswert und hat mich mit seinem quirligen Verhalten ab und an zum Lächeln gebracht.
Oberbösewicht Frost ist äußerlich ziemlich gut erdacht und beschrieben. Was seinen Charakter angeht, fand ich ihn zu eindimensional, da er einfach abgrundtief böse und herzlos ist. Ich hätte gern mehr über ihn und seinen Hass den Menschen gegenüber erfahren.
Die restlichen Charaktere habe ich eher als schmückendes Beiwerk empfunden. Sowohl Arnie (ein Inuitjunge) als auch Tal (ein alter Inuit) haben die Geschichte zwar bereichert, aber sie werden mir wohl nicht mehr lange im Gedächtnis bleiben. Der Kapitän und sein erster Offizier, die Light, Butler und Tupilak in die Arktis bringen, fand ich da schon spannender. Vielleicht weil sie einfach so ein originelles Paar abgeben – der Kapitän mit seiner abgeschnittenen Zunge und Monty, der für ihn das Sprechen übernimmt und jede seiner Gesten sofort in Worte umsetzen kann.
Die Monster, die Nick Lake erschaffen hat, fand ich sehr beeindruckend. Es gibt da z.B. aufgeblähte menschenartige Wesen, die an Schnüren aus Gedärmen hängen, an denen sie sich zu ihren Opfern entlang hangeln, um ihnen anschließend die Seele auszusaugen. Gruselfaktor!
Handlung
Im Königreich der Kälte ist auf keinen Fall ein Kindermärchen. Es geht an vielen Stellen ziemlich blutrünstig und brutal zu. Solche Szenen werden zwar nicht in übermäßigem Detail beschrieben, aber in Nick Lakes Fall reicht ein Satz aus, um den Rest das Kopfkino machen zu lassen.
Ansonsten handelt es sich bei dem Roman um ein typisches Abenteuerbuch. Es dauert zwar einige Zeit bis Light überhaupt in der Arktis ankommt, aber sobald ihre Reise beginnt, muss sie ein Hindernis nach dem anderen überwinden und bekommt zahlreiche Gegner in den Weg gestellt. Durch die Einstreuung von kleinen Inuitgeschichten wird es zum Glück nie langweilig. Dafür haben auch die Geheimnisse über Lights Vergangenheit gesorgt, die Schritt für Schritt gelüftet werden.
Eines dieser Geheimnisse will ich hier eben diskutieren, deswegen
___ SPOILERGEFAHR AB HIER ___
Mit der Zeit stellt sich heraus, dass Light eine angerdlartugsiak ist. Das bedeutet, dass sie keine Hunde töten kann, dass in ihrer Kindheit eine Schüssel mit Hundeurin neben ihrem Bett stand und dass sie nicht ertrinken kann. Klingt ganz schön bescheuert und zusammenhangslos oder? Finde ich auch. Dieser Teil hat mich wirklich geärgert, weil der Autor angerdlartugsiak auch als einen Inuitmythos erklärt. In der Danksagung wird zwar erwähnt, dass er sich, was die Mythen angeht, kreative Freiheit genommen hat, aber ich finde, dass dieser Mythos einfach nur nach „hingebogen, damit das in die Handlung passt“ klingt. Es hat überhaupt nichts von den anderen Inuitgeschichten, die erzählt werden und klingt einfach nur blödsinnig.
___ SPOILERGEFAHR ZUENDE ___
Atmosphäre & Kulisse
Der Anfang des Romans spielt in Nordirland. Die Atmosphäre einer grünen, nebligen Umgebung kommt wunderbar rüber, vor allem bei Lights Spaziergang durch den Wald. Gleiches gilt für die Beschreibungen der Arktis. Eigentlich gibt es da ja außer Eis und Schnee gar nichts, aber mit diesen wenigen Mitteln hat Nick Lake es geschafft eine eisige, bedrückende Atmosphäre zu erschaffen.
Sprache/Stil
Hier sammelt der Autor die meisten Pluspunkte (und auch die Übersetzerin Sabine Reinhardus). Sein Schreibstil hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sowohl seine Vergleiche als auch die Beschreibungen waren prägnant, originell und haben das Lesen extrem versüßt. Ein kleines – wahrlich nicht das beste, aber das erste auf die Schnelle gefundene – Beispiel habe ich hier:
Offene Fragen
___ SPOILER ___
Wie holt Light ihren Vater von den Toten zurück? Dieser Handlungsstrang wird einfach ausgeblendet und nie erklärt.
Warum wacht Tulugaq schon ihr Leben lang über Light? Weil sie die Tochter der Mondgöttin ist? Woher kennen sich die beiden?
___ SPOILER ENDE ___
Fazit
Ein wunderbares, spannendes Buch mit Bösewichten, die den Leser vor Angst einfrieren und Protagonisten, deren Beziehungen zueinander den Leser wieder auftauen. Außerdem ein sprachlicher Lesegenuss gespickt mit zahlreichen Erzählungen aus dem Mythenreich der Inuits.
Leider ist bisher noch nichts über weitere Romane des Autors bekannt. Ich hoffe, das ändert sich bald, denn wer so schreiben kann, darf mir das nicht vorenthalten.
Optische Gestaltung
Auch hier punktet das Buch an allen Fronten. Ich bin ein großer Fan von Hardcovern, die keinen Schutzumschlag haben sondern wie Taschenbücher direkt auf dem Buchdeckel gestaltet sind. Außerdem ist das Schwarz eine Lackschicht, die sich schön glatt unter den Fingern anfühlt. Innen geht es noch weiter. Jedes Kapitel beginnt mit einem individuellen Symbol/einer Zeichnung und einer Menge Schnee. Außerdem sind Schilder, Tagebucheinträge oder Zeitungsartikel auch als solche anhand von verschiedenen Schriftarten, Rahmen und Hintergründen gestaltet. Ein wirklicher Hingucker!
Trivia oder was ich aus diesem Buch gelernt habe
Da die Inuit im ewigen Eis leben, haben sie keine Möglichkeit Getreide oder ähnliches anzubauen. Um zu überleben, sind sie auf das Töten von Tieren angewiesen. Nachdem sie ein Tier erlegt haben, beten sie für dessen Seele (auf Inuit: Inua) und halten sich von anderen Menschen fern, um die Inua des Tieres zu besänftigen.
Themen
Es geht um die Arktis, Inuits und ihre Legenden, Tiergötter/geister, ein wenig Zauberei, die Auslöschung der Menschheit und Familie.
Inhalt
Light ist ein ganz besonderes Mädchen, sie ist ein Albino und ihre Familie scheint zunehmend zu schrumpfen. An ihre Mutter kann sie sich gar nicht erinnern und ihr Vater ist seit einigen Monaten bei einer Expedition in die Arktis verschwunden. Nun bleibt ihr nur ihr treuer Freund und Vaterersatz Butler. Mit dem macht sie sich schlussendlich auch auf ins ewige Eis, um ihren Vater zu finden bzw. zu befreien. Denn ein grausiges Wesen – halb Hai, halb Eisbär – behauptet, dass ihr Vater dort von der Urkälte persönlich – namentlich Frost – festgehalten wird und nur Light ihn befreien kann. Es beginnt ein turbulentes Abenteuer, auf dem Light immer wieder an ihre Grenzen stößt. Sie lernt neue Freunde kennen, erfährt Unerwartetes über Butler und ihre eigene Vergangenheit, und begegnet schrecklichen sowie liebevollen Wesen, an deren Existenz sie bis dato gezweifelt hätte.
Charaktere & Beziehungen
Ganz groß steht hier natürlich das Mädchen Light im Vordergrund. Nicht nur ihr Albinoaussehen machen sie zu etwas besonderem, auch dass sie von zwei Männern aufgezogen worden ist, spiegelt sich in ihrem Charakter wieder. Light ist ein tapferes, selbstbewusstes Mädchen mit einem großen Herzen. Mir hat es super gefallen, wie sie sich immer wieder selbst Problemen stellt und sich nicht weinend in eine Ecke verkriecht. Natürlich hat sie auch Angst und Zweifel, aber in entscheidenden Momenten kämpft Light verbissen wie ein Eisbär. Sehr realistisch an ihrer Darstellung fand ich, dass ich als Leser mitbekommen habe, wie Light etwas lernt. Sie kann nicht einfach von vorneherein alles, sondern muss es (z.B. den Umgang mit einer Waffe) erst beigebracht bekommen.
Sehr ans Herz gewachsen sind mir Lights Begleiter Butler und Tupilak. Butler ist wie ein Vater für Light und man spürt die herzliche Beziehung zwischen den beiden vor allem am Anfang. Butler selbst hegt einige große Geheimnisse, die zwar relativ schnell klar sind, aber trotzdem interessant bleiben. Das Wesen Tupilak ist trotz seiner grausigen Gestalt umwerfend liebenswert und hat mich mit seinem quirligen Verhalten ab und an zum Lächeln gebracht.
Oberbösewicht Frost ist äußerlich ziemlich gut erdacht und beschrieben. Was seinen Charakter angeht, fand ich ihn zu eindimensional, da er einfach abgrundtief böse und herzlos ist. Ich hätte gern mehr über ihn und seinen Hass den Menschen gegenüber erfahren.
Die restlichen Charaktere habe ich eher als schmückendes Beiwerk empfunden. Sowohl Arnie (ein Inuitjunge) als auch Tal (ein alter Inuit) haben die Geschichte zwar bereichert, aber sie werden mir wohl nicht mehr lange im Gedächtnis bleiben. Der Kapitän und sein erster Offizier, die Light, Butler und Tupilak in die Arktis bringen, fand ich da schon spannender. Vielleicht weil sie einfach so ein originelles Paar abgeben – der Kapitän mit seiner abgeschnittenen Zunge und Monty, der für ihn das Sprechen übernimmt und jede seiner Gesten sofort in Worte umsetzen kann.
Die Monster, die Nick Lake erschaffen hat, fand ich sehr beeindruckend. Es gibt da z.B. aufgeblähte menschenartige Wesen, die an Schnüren aus Gedärmen hängen, an denen sie sich zu ihren Opfern entlang hangeln, um ihnen anschließend die Seele auszusaugen. Gruselfaktor!
Handlung
Im Königreich der Kälte ist auf keinen Fall ein Kindermärchen. Es geht an vielen Stellen ziemlich blutrünstig und brutal zu. Solche Szenen werden zwar nicht in übermäßigem Detail beschrieben, aber in Nick Lakes Fall reicht ein Satz aus, um den Rest das Kopfkino machen zu lassen.
Ansonsten handelt es sich bei dem Roman um ein typisches Abenteuerbuch. Es dauert zwar einige Zeit bis Light überhaupt in der Arktis ankommt, aber sobald ihre Reise beginnt, muss sie ein Hindernis nach dem anderen überwinden und bekommt zahlreiche Gegner in den Weg gestellt. Durch die Einstreuung von kleinen Inuitgeschichten wird es zum Glück nie langweilig. Dafür haben auch die Geheimnisse über Lights Vergangenheit gesorgt, die Schritt für Schritt gelüftet werden.
Eines dieser Geheimnisse will ich hier eben diskutieren, deswegen
___ SPOILERGEFAHR AB HIER ___
Mit der Zeit stellt sich heraus, dass Light eine angerdlartugsiak ist. Das bedeutet, dass sie keine Hunde töten kann, dass in ihrer Kindheit eine Schüssel mit Hundeurin neben ihrem Bett stand und dass sie nicht ertrinken kann. Klingt ganz schön bescheuert und zusammenhangslos oder? Finde ich auch. Dieser Teil hat mich wirklich geärgert, weil der Autor angerdlartugsiak auch als einen Inuitmythos erklärt. In der Danksagung wird zwar erwähnt, dass er sich, was die Mythen angeht, kreative Freiheit genommen hat, aber ich finde, dass dieser Mythos einfach nur nach „hingebogen, damit das in die Handlung passt“ klingt. Es hat überhaupt nichts von den anderen Inuitgeschichten, die erzählt werden und klingt einfach nur blödsinnig.
___ SPOILERGEFAHR ZUENDE ___
Atmosphäre & Kulisse
Der Anfang des Romans spielt in Nordirland. Die Atmosphäre einer grünen, nebligen Umgebung kommt wunderbar rüber, vor allem bei Lights Spaziergang durch den Wald. Gleiches gilt für die Beschreibungen der Arktis. Eigentlich gibt es da ja außer Eis und Schnee gar nichts, aber mit diesen wenigen Mitteln hat Nick Lake es geschafft eine eisige, bedrückende Atmosphäre zu erschaffen.
Sprache/Stil
Hier sammelt der Autor die meisten Pluspunkte (und auch die Übersetzerin Sabine Reinhardus). Sein Schreibstil hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sowohl seine Vergleiche als auch die Beschreibungen waren prägnant, originell und haben das Lesen extrem versüßt. Ein kleines – wahrlich nicht das beste, aber das erste auf die Schnelle gefundene – Beispiel habe ich hier:
Das Mädchen hatte furchtbare Angst. Sie fühlte sich wie ein Floh auf dem Rücken eines Eisbären, der jeden Augenblick die Tatze heben und sich auf dem Rücken kratzen konnte...
(S. 247)
Offene Fragen
___ SPOILER ___
Wie holt Light ihren Vater von den Toten zurück? Dieser Handlungsstrang wird einfach ausgeblendet und nie erklärt.
Warum wacht Tulugaq schon ihr Leben lang über Light? Weil sie die Tochter der Mondgöttin ist? Woher kennen sich die beiden?
___ SPOILER ENDE ___
Fazit
Ein wunderbares, spannendes Buch mit Bösewichten, die den Leser vor Angst einfrieren und Protagonisten, deren Beziehungen zueinander den Leser wieder auftauen. Außerdem ein sprachlicher Lesegenuss gespickt mit zahlreichen Erzählungen aus dem Mythenreich der Inuits.
Leider ist bisher noch nichts über weitere Romane des Autors bekannt. Ich hoffe, das ändert sich bald, denn wer so schreiben kann, darf mir das nicht vorenthalten.
Optische Gestaltung
Auch hier punktet das Buch an allen Fronten. Ich bin ein großer Fan von Hardcovern, die keinen Schutzumschlag haben sondern wie Taschenbücher direkt auf dem Buchdeckel gestaltet sind. Außerdem ist das Schwarz eine Lackschicht, die sich schön glatt unter den Fingern anfühlt. Innen geht es noch weiter. Jedes Kapitel beginnt mit einem individuellen Symbol/einer Zeichnung und einer Menge Schnee. Außerdem sind Schilder, Tagebucheinträge oder Zeitungsartikel auch als solche anhand von verschiedenen Schriftarten, Rahmen und Hintergründen gestaltet. Ein wirklicher Hingucker!
Trivia oder was ich aus diesem Buch gelernt habe
Da die Inuit im ewigen Eis leben, haben sie keine Möglichkeit Getreide oder ähnliches anzubauen. Um zu überleben, sind sie auf das Töten von Tieren angewiesen. Nachdem sie ein Tier erlegt haben, beten sie für dessen Seele (auf Inuit: Inua) und halten sich von anderen Menschen fern, um die Inua des Tieres zu besänftigen.