A review by tinytinykitten
Der Junge, der Träume schenkte by Luca Di Fulvio

5.0

1909. Cetta ist noch ein junges Mädchen, als sie mit ihrem kleinen Sohn Christmas in New York City ein neues Leben beginnen möchte. Anstelle von Reichtum und Glück erwarten sie in dem unbekannten Land jedoch Armut und Gewalt. Der charismatische Christmas wächst in der von Gangs regierten Lower East Side auf und muss auf seine eigene Weise lernen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.


Das Buch, welches sich in meiner Taschenbuchausgabe über 781 Seiten erstreckt, bekam ich zu Weihnachten von meiner Cousine geschenkt.Es war mir zuvor bereits in den Buchläden aufgefallen, von daher habe ich mich schon einmal sehr über das Geschenk gefreut. Die Freude war, wie ich finde, berechtigt. Denn innerhalb der ersten paar Seiten war ich gefesselt und konnte es kaum abwarten, herauszufinden, was die sympathische Protagonistin Cetta in ihrer neuen Wahlheimat New York City zu erwarten hatte.
Doch eines noch vorweg: wer anhand des Titels von einem liebevollen und fröhlichen Buch ausgeht, wird schnell eines Besseren belehrt. Wie es in historischen Romanen üblich ist, kommen Gewalt und Übel – besonders gegenüber Frauen – nicht zu kurz. Genau genommen werden selbst für meinen Geschmack die Gewaltszenen zu häufig als Stilmittel zum Schock und zur Entwicklung der Geschichte verwendet. Besonders die detaillierten Schilderungen könnten hin und wieder etwas milder ausfallen. Aber das ist nur meine Meinung – immerhin ist die Realität nicht weniger brutal und grausam.

Die Erzählung wechselt zwischen den verschiedenen Charakteren hin und her, wobei der Fokus vor allem auf den beiden Protagonisten Cetta und ihrem Sohn Christmas, später auch auf einem Mädchen namens Ruth, liegt. Zwischendurch gibt es allerdings auch Kapitel aus Sicht ihrer Mitmenschen. Während die Geschichte fortlaufend erzählt wird, geschieht dies außerdem auf zwei Zeitebenenen: zu der Zeit, als Cetta noch als eine junge Frau in New York als Prostituierte arbeitet und sich in der neuen Heimat langsam zurecht findet. Hier lernen wir Cetta besser kennen und begleiten sie durch die schwierigen Zeiten im Ghetto. Die zweite Zeitebenene ist in der Jugend ihres Sohnes Christmas angesetzt, und wir begleiten den charismatischen Jungen beim Erwachsenwerden in einer von Gangs regierten Großstadt. Gerade diese Zeit- und Perspektivwechsel machen das Lesen zu Beginn etwas anstrengend. Mit der Zeit hat mir die Abwechslung allerdings immer besser gefallen, was bestimmt auch daran lag, dass man die Charakter nun auseinanderhalten konnte.

Christmas ist mit Abstand mein Lieblingscharakter in dem Roman – was sicherlich vom Autor auch beabsichtigt war. Christmas ist ein sympathischer Mensch, der bereits zur Hälfte des Buches einen enormen Wandel zum Guten und zum Bösen erfahren hat. Seine Aufrichtigkeit und sein Ehrgeiz gefallen mir sehr.
Auch mit Cetta habe ich immer sehr mitgefiebert, wobei sie im Laufe des Buches zunehmend in den Schatten ihres Sohnes gerät und der Leser weniger an ihrer Geschichte teilhaben darf. Gerne hätte ich mehr über ihr Leben erfahren, vor allem nachdem Christmas erwachsen geworden war.
Das Schicksal der dritten Protagonistin, ein Mädchen in Christmas’ Alter, kam mir mit der Zeit übertrieben stereotyp vor. Sie verkörpert die Rolle des armen, traumatisierten Mädchens, das mit ihrer Vergangenheit nicht abschließen kann. Einerseits finde ich es realistisch, dass ein solches Erlebnis das Leben dauerhaft und tiefgreifend verändert. Andererseits ging es mir mit der Zeit ehrlich gesagt ein wenig auf die Nerven, vor allem in der zweiten Hälfte des Romans, wo sie weitaus häufiger ein Kapitel füllt, als am Anfang.

Fazit:

Obwohl mir an ”Der Junge, der Träume schenkte” einige Dinge weniger gefallen haben, will ich den Roman trotzdem mit 5/5 Sternen bewerten. Denn trotz all der Gewalt, Klischees und der vielleicht ein wenig übertrieben häufig glücklichen Umstände hat mir das Lesen sehr viel Spaß gemacht. Ein Buch muss mich fesseln, mich dazu bringen, mit den Charakteren mitzufiebern und es mir erlauben, mich in sie hineinzuversetzen. Ich muss darin versinken können. Und das hat es geschafft. Es ist ein grausames und tragisches Buch, das allerdings eine dennoch sehr hoffnungsvolle und positive Grundstimmung vermittelt. Ich vermisse es jetzt schon, mit Christmas durch die Straßen der Lower East Side zu streifen und ihn bei seinen Abenteuern zu begleiten.