A review by 1ncubus
Jakob der Lügner: Text und Kommentar by Jurek Becker

dark emotional funny reflective sad medium-paced

4.0

Der Roman ist kein antifaschistisches Kampfbuch, und das will er auch nicht sein. Es ist kein Buch über die Deutschen und ihre Grausamkeiten im Nationalsozialismus, es ist ein Buch über die Juden, die in dieser Zeit lebten, überlebten und nicht überlebten. Den Mangel an politischem Bewusstsein könnte man dem Roman zwar vorwerfen, dieser "Mangel" ist aber meines Auffassens nach durchaus beabsichtigt und macht das Buch viel mehr aus. Der Roman beschreibt fast banales Alltagsleben und legt den Fokus auf durch und durch menschliche Dinge - Zwist zwischen Freunden, die erste Liebe, Neugier, Neid. Von Pathos oder Heldentum ist nichts zu spüren. Dabei soll die Ghettoerfahrung nicht verharmlost werden. Viel mehr wird sie aus der Sicht eines fiktiven Überlebenden in ihrer Härte, aber mit Humor geschildert. Den Erzähler lernt der Leser zwar nicht viel näher kennen, trotzdem ist er ein zentrales Stück der Handlung. Häufig tritt er einen Schritt vom Erzählten zurück, berichtigt, vermutet, erklärt, entschuldigt sich. Es geht ihm nicht um eine durch und durch wahrheitsgemäße Darstellung der genauen Ereignisse, sondern darum, ein Bild der Menschen im Ghetto zu zeichnen. Das macht die Erfahrung besonders greifbar und interessant. Er bietet zum Schluss ein "alternatives Ende", nicht nach meinem Geschmack - es wirkte, als wäre die Geschichte von Jakob eine Fabel gewesen, von der man mit ein wenig Fantasie das Ende einfach umdichten könnte. Ich kann den Erzähler bzw. auch den Autor in diesem Punkt aber durchaus nachvollziehen. Insgesamt sehr gelungen.