A review by takeruoji
Sexualität und Wahrheit 3: Die Sorge um sich by Ulrich Raulff, Michel Foucault, Walter Seitter

3.0

Zunächst einmal zur Ausgangssituation: Ich habe diesen dritten Band der Reihe „Sexualität und Wahrheit“ eigentlich nur gelesen, um für die soeben erschienene deutsche Übersetzung des aus dem Nachlass veröffentlichten vierten Band, „Die Geständnisse des Fleisches“, ein wenig auf dem letzten Stand zu sein. Den zweiten Band der „Sexualität und Wahrheit“ habe ich bis heute noch nicht gelesen. Und das hat sich wahrscheinlich ein wenig gerächt, bilden der zweite und dritte Band doch eigentlich mit der Antike eine historische Einheit. Allerdings ist in diesem dritten Band die spätere Antike, genauer die Römische Kaiserzeit, historischer Ausgangspunkt der Analyse. Ungeachtet dessen dreht sich auch dieser Band um die Frage, wie das Sexualverhalten im klassischen griechischen Denken reflektiert worden ist, hier allerdings im Gegensatz zur klassischen Zeit vor allem in Form des Hellenismus und damit einhergehend auch bei römischen Autoren wie Marc Aurel.

Hauptgegenstand ist wie schon im zweiten Band die chresis aphrodision — der Gebrauch der Lüste. Wie der Titel „Die Sorge um sich“ erkennen lässt, wird der Entwicklung der Lüste auch durch die einhergehende Subjektivierung nachgezeichnet. So dreht sich das zweite Kapitel dann auch um die „Kultur seiner selbst“ — ohne jedoch hier großartige Informationen zu gewinnen. Und das ist auch gleich der Hauptkritikpunkt, der für nahezu alle Kapitel gilt: Foucault argumentiert hier ungewohnt schwach, mit teils wenigen Quellen. Die Argumente wirken teils sehr konstruiert, sodass die Glaubwürdigkeit des Gesamtprojekts stark unter der durchschnittlichen Qualität leidet. Ein weiteres Indiz hierfür ist auch der im Vergleich zum zweiten Band stark gesunkene Umfang. Und so wirken die einzelnen Kapitel eher wie lose Abschnitte, deren Zusammenhang nicht immer klar ist bzw. nicht immer argumentativ stichhaltig ist.

Das erste Kapitel etwa, über das Traumbuch des Artemidor, ist ein gutes Beispiel hierfür. Foucault verwendet diesen Abschnitt, um anhand des Traumbuches (eine Art Anleitung zum Verstehen von Träumen) einen Moralkodex abzubilden, wie er etwa laut Artemidor in Geltung war. Foucault ist sich dabei natürlich der Schwäche dieser Methode klar — es wird teilweise etwas als unmoralisch (ungesetzlich bis hin zu widernatürlich) dargestellt, allerdings wir nur wenig darauf eingegangen wieso dies so war. Andererseits galten manche Vorzeichen wie Inzest mit der Mutter im Traum als gutes Vorzeichen, was natürlich einer allgemeinen Moral ebenfalls nicht entsprach. Jedenfalls stellt Foucault dieses Kapitel an den Beginn. Inhaltlich zwar teils interessant stellt sich die Frage, wie dieses Werk jetzt in den Gesamtdiskurs eingeordnet werden kann. Was für Dispositive ergeben sich etc. Auf all diese Fragen gibt Foucault nicht wirklich eine Antwort, sondern geht direkt über in das zweite bereits erwähnte Kapitel.

Das dritte Kapitel „Man selber und die anderen“ gibt eine erste mögliche Ahnung, wo Foucault hinwill mit diesem Werk. Der erste Abschnitt in diesem Kapitel widmet sich der Rolle der Ehe — die uns im folgenden in allen Kapiteln weiter beschäftigen wird und deren „Genealogie“ noch am interessantesten und plausibelsten scheint, da sie von verschiedenen Seiten aus betrachtet wird. Der zweite Abschnitt im dritten Kapitel beschäftigt sich mit dem politischen Spiel bzw. den Veränderungen zwischen der Rolle der Politik im persönlichen Leben in der klassischen Zeit und eben in der Spätantike im römischen Reich. Ist zwar nicht uninteressant, aber ziemlich kurz.

Das vierte Kapitel widmet sich antiken Aufzeichnungen über den Körper in Bezug auf den Gebrauch der Lüste. Das wirkt beim Lesen unfreiwillig komisch, ist von Foucault aber durchaus systematisch und überzeugend aufbereitet — lediglich die Einbettung in das Gesamtwerk erschließt sich gar nicht, das Kapitel bleibt lose im Raum stehen.

Das fünfte (und zusammen mit dem sechsten Kapitel das längste) Kapitel widmet sich der veränderten Rolle der (Ehe)Frau. Foucault zeichnet hier sehr deutlich eine historische Veränderung nach, von der Rolle der Frau als reine Hausverwalterin in der klassischen Zeit hin zur Ideal der monogamen Ehe. Hier gelingt es Foucault sehr gut, die verschiedenen Änderungen aus diversen Blickwinkeln zu betrachten und die Veränderung der Stellung der Frau glaubhaft nachzuzeichnen. Dieses Kapitel stellt somit das mit Abstand beste Kapitel in dem Band dar.

Das sechste und abschließende Kapitel über die Entwicklung der Reflektion über die Knabenliebe (=Päderastie) ist interessant, aber hier bezieht sich Foucault wiederum nur auf drei Werke, die er en detail beschreibt. Das ist wieder ein wenig mager, auch wenn dieser Abschluss in Bezug auf Inhalt des zweiten Bandes der „Sexualität und Wahrheit“ verständlich und aus dieser Sicht nicht schlecht gewählt ist.

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Es bleibt ein langweiliger Nachgeschmack nach der Lektüre. Man hat den Eindruck, dass Foucault entweder die Zeit gefehlt hat oder er schon so sehr mit der nachfolgenden Forschung, der Sexualmoral im Christentum, beschäftigt war, als dass er mit dieser Thematik schnell abschließen wollte. Und dass ist schade. Der Zeitraum der Kaiserzeit wäre sicherlich ein sehr breites und interessantes Feld, das im Gegensatz zum Mittelalter oder der klassischen Antike noch weit weniger aufgearbeitet ist. Hier wäre imho noch einiges möglich gewesen. Für die ansonsten in meinen Augen sehr hohe Qualität in Foucault’s Werken ist die Lektüre dieses Werkes leider enttäuschend.