A review by cloudwriter
Die Barbaren. Über die Mutation der Kultur by Alessandro Baricco

2.0

Während der Lektüre des Buches musste ich mich immer wieder selbst fragen, ob ich eine Barbarin bin. Wenn ich Herrn Baricco richtig verstanden habe, kann ich diese Frage letztendlich nicht eindeutig beantworten. Was auch daran liegt, dass er -- anders als er das in seinem Buch tut, wenn er Monsieur Bertin bemüht -- sich nicht auf die Wurzeln, die Tiefe des Begriffs Barbar und Mutation zurückbesinnt. Beide sind nämlich eigentlich nicht derart negativ belegt, wie er das darstellt.

Aber.

Er führt einige wichtige Punkte an, die die Veränderung der Kultur, die Mutation, beschreiben und begreifbar machen. Für mich bedeutet das, dass ich weniger Angst haben muss. Wobei Angst ein übertriebener Begriff ist. Indem ich verstehe, was vor sich geht, kann ich es relativieren, in Beziehung zu dem setzen, was bereits geschehen ist. Und erkenne, dass das, was Baricco als Mutation beschreibt, nichts anderes ist als Evolution. Er bemüht immer wieder das Beispiel der klassischen Musik, der Literatur, die sich entwickelte, indem sich die Komponisten und Schriftsteller weiter entwickelten, oder Techniken weiter entwickelten. Das ist Evolution, und nicht die Art Mutation, die uns an Superheldenfilme (die tatsächlich Auswüchse der Evolution sind und wohl von kurzer Lebensdauer, aber das ist ein anderes Thema) oder Superkillerviren erinnert.

Der Mensch lebt und lernt; das kann er nicht ohne Fehler. Baricco verzettelt sich bisweilen in seinen unsauberen Metaphern und verwirrt stellenweise mehr, als dass er erhellt. Er macht großartige Beobachtungen zur Oberflächlichkeit und Spektakularität -- verpasst aber den Punkt, an dem das Bild überstrapaziert wird. So endet er letztendlich bisweilen in Widersprüchen und hat ein allzu pessimistisches Bild unserer Kultur.

Ja, wir leben in einer Zeit des kulturellen Umbruchs. Aber wir haben diese Zeiten schon einige Male bewältigt, kulturelle Revolutionen im besten Sinn des Wortes. Das sieht Baricco auch, aber er sieht leider nicht, dass wir an deren jeweiligem Ende immer kultivierter wurden. Beethoven war seiner Zeit ein Rockstar und wurde als unseriös angesehen. Und jetzt? In diesem Punkt widerspricht sich Baricco meiner Meinung nach. Das liegt in der Natur der Entstehung seines Buches. Es ist eine Reihe von Artikeln in einer Zeitung -- die er der Barbarei anklagt, weil die Nachrichten in den Schatten ihrer Werbeeinnahmen und Beilagen treten. Vielleicht hätten die Artikel mehr Überarbeitung gebraucht; aber es ist auch interessant, die Entwicklung (!) seiner Idee mitzuverfolgen.

Ich bin keine Barbarin in seinem Sinne; ich bin Teil einer kulturellen Revolution -- und werde vielleicht einmal sagen können, wie sie endete.