A review by holono
Pick me Girls by Sophie Passmann

funny reflective

2.75

 „Meine Jugend war genauso wie die anderer junger Frauen. Ich habe im Internet mit Pädophilen gechattet, mir bei tumblr eine Essstörung angeeignet, ich habe als junges Mädchen ungefragt Pornos gezeigt bekommen und wurde von älteren Männern angefasst und bedrängt. Ich hasse meinen Bauch, bis heute. Ich trage Spanx und ich habe mir die Lippen aufspritzen lassen. Dieses Buch hier will gar nichts besser wissen. Es will nur tun, was Männer seit Generationen tun: gemeinsame Erfahrungen archivieren.“ 

In ihrem neuesten Buch Pick Me Girls gibt Sophie Passmann Einblick in ihre Kindheit, Jugend und ihre Zwanziger und versucht dadurch, das Phänomen der "Pick Me Girls" zu beleuchten. Der humorvolle Ton des Buchs hat mir hierbei gut gefallen. Ich habe das Buch im Rahmen eines feministischen Lesekreises gelesen, wofür es gut eignet, da es sehr zum gemeinsamen Reflektieren und Diskutieren einlädt. 

Obwohl Sophie Passmann direkt im Vorwort betont, dass dieses Buch „kein Teenager-Selbsthilfebuch […] und erst recht, um Gottes willen, keine Autobiografie“ sei, sind es im Kern eben doch vor allem die Memoiren ihres bisherigen Lebens. Gegen Ende des Buchs gibt sie dann auch zu, dass sie dieses Buch in „am allermeisten für [s]ich“ selbst geschrieben hat.  Diese autobiographischen Episoden stellen für mich den stärksten Teil des Buches dar. Sophie Passmann beleuchtet sehr ehrlich und ohne Angst vor Widersprüchlichkeiten, die zum Leben und Erleben eines jeden Menschen dazugehören, was sie seit ihrer Kindheit erfahren und wie sie durch diese Erfahrungen navigiert hat. Leider liest das Buch sich in Teilen als Rechtfertigungsversuch, was eine etwas unangenehme Leseerfahrung ist. Ich verstehe aber, wie schwierig es sein muss, als Person des öffentlichen Lebens von seinem Leben zu erzählen, ohne dabei in eine Rechtfertigungshaltung zu fallen. 

Sophie Passmann versucht dann, den zuvor beschriebenen Momenten ihres Lebens den Begriff „Pick Me Girl“ überzustülpen. Dies überzeugt selten. Es beginnt schon damit, dass sie die Geschichte des Begriffs falsch einführt, indem sie behauptet, dass der Begriff „Pick me Girls“ 2020 via TikTok bekannt worden sei. Dies hat mich überrascht, denn obwohl ich nie auf TikTok war, bin ich mit dieser Kategorisierung schon lange vertraut und hätte sie als ein deutlich älteres Konzept eingeordnet. Eine kurze Google-Recherche hat mir dann bestätigt, dass diese Bezeichnung seit mindestens 2016 im Internet verbreitet ist, was sich mit meinen Erinnerungen deckt. 

Im Laufe des Buches definiert sie den Begriff des „Pick Me Girls“ immer wieder diffus um, was ihn sehr beliebig erscheinen lässt. Die von ihr zu Beginn beschriebene „TikTok-Definition“ deckt sich definitiv noch am meisten mit der im Internet gängigen Definition, so sagt sie: 

„Die einzige Charaktereigenschaft des „pick me girls“ ist die Tatsache, dass sie versucht, anders als „andere Frauen“ zu sein. „Andere Frauen“ werden dabei immer über weibliche Klischees definiert: oberflächlich, leicht hysterisch, unentspannt, essgestört, Spielverderberinnen, die ihre Partner von entspannten Abenden mit den Jungs weglockten, um sich bei ihnen darüber auszuheulen, dass die drei Kilo zugenommen hatten.“ 

In den folgenden Kapiteln wechseln sich die Definitionen dann bunt ab, mal wird frau zum Pick Me Girl, weil sie aus Einsamkeit anders ist; mal sind alle Frauen in manchen Phasen ihres Lebens Pick Me Girl; mal hat es mit Vater-Komplexen zu tun, mal doch mit verinnerlichter Misogynie; mal sind es dann Frauen, die ihr eigenes Jugendsein fetischisieren. Dies führt dazu, dass sie teilweise kritisiert, dass Pick Me Girls gar nicht die Antifeministinnen seien, zu denen sie in den letzten Jahren gemacht worden wären. 

Nur weil Sophie Passmann in diesem Buch den Begriff des „Pick Me Girls“ neu-/umdefiniert, so dass er (je nach Kapitel) nichts mehr mit antifeministischen Prämissen zu tun hat, kann sie dann doch nicht bemängeln, wie fies es sei, wenn Frauen „Pick Me Girls“ in ihrer allgemein verbreiteten Definition mitsamt immer antifeministisch mitschwingenden Kern von „Ich bin nicht so [oberflächlich, blöd, peinlich, …] wie andere Frauen“ kritisieren. Dies wirkt umso willkürlicher, da sie zuvor ausführt, wieso nicht alle Entscheidungen gleich feministisch sind und manche Entscheidungen nun einmal trotz aller individueller Freiheit sogar gar nicht feministisch sind und man dies auch eingestehen können sollte. Doch „Pick Me Girls“ aus feministischer Perspektive zu kritisieren, geht doch zu weit, weil ihre eigene Neudefinition Misogynie nicht länger zwingend einschließt? 

Auch eine Vermischung der Begriffe „Pick Me Girl“ und „I can fix him“-Mentalität konnte mich nicht überzeugen, da nach meiner Erfahrung auch „feminine“ Frauen mit „weiblichen“ Interessen oft in eine „I can fix him“-Dynamik geraten. 

Dem im Kontext dieses Buches diskutierten Aspekt, ob das Buch aus einer zu weißen und privilegierten Sicht geschrieben ist, pflichte ich in Teilen bei. Da ich dieses Buch trotz aller Vermarktung und Beteuerung im Vorwort als Memoiren betrachte, halte ich es für völlig legitim, dass sie über ihr eigenes, von ihren Privilegien geprägtes Leben spricht. Da Sophie Passmann aber selbst die Prämisse aufstellt, dass das Buch eben keine Autobiografie, sondern eine Analyse des Begriffs der „Pick Me Girls“ ist, hätte bei Betrachtung dieses Phänomens Intersektionalität mitgedacht werden müssen. 

Letztlich handelt es sich um ein falsch vermarktetes Buch, welches aber als Memoiren einer Frau, die in der für ihre Generation typischen Version von Misogynie und Fatshaming aufwächst und jung in der Öffentlichkeit steht, dennoch eine lohnende Perspektive bietet. Insbesondere für Leser*innen, die im Allgemeinen eher selten zu feministischer Lektüre greifen, bietet dieses Buch trotz genannter Kritik einiges.