A review by kroppzeugvertilger
Room Full of Mirrors: A Biography of Jimi Hendrix by Charles R. Cross

4.0

[3,5/5]

Are you experienced?

- Well, I guess I ain't!

Es ist völlig und total unerheblich, wie eine weitere Bewertung der seit mittlerweile 15+ Jahren maßgeblichsten Bio über Hendrix eingeleitet wird. Letztere ist und bleibt - abseits jeder subjektiven Kritik - ein oder eben das Standardwerk.

Man erfährt so ziemlich alles: Vom sozialen und vor allem familiären Hintergrund Hendrix', bis hin zum letzten Atemzug inklusive deutscher Groupie-Grandeur. Das will ich allerdings auch erwarten dürfen, wenn ich eine Biographie lese. Was Room Full Of Mirrors so gut macht, ist - und das macht gewissermaßen gute Literatur aus - die absolute Reflektierbarkeit.

Cross schafft es auf enorm zugängliche Weise, Jimi Hendrix einerseits stets ins Zentrum zu stellen, aber andererseits die jeweiligen familiären und gesellschaftlichen Umstände auch nur so sehr zu beleuchten, dass sie wiederum a) im biographischen Dienst stehen, jedoch b) unglaublich viel Gelegenheit bieten, um entweder b1) dazu animieren albern-nostalgisch in die 60er abzutauchen oder aber b2) diese Biographie als Gesellschaftsportrait zu begreifen.

Und, hell yeah, vom eigenen Phänotyp als weißer, kerniger Gesell aus der Mittelschicht ausgehend, kann man bei Room Full of Mirrors Exkurse in eben jene Gesellschafts- und Minoritätengefilde nehmen, von denen man für gewöhnlich nur über Hollywood-Blockbuster oder den Feuilleton gerade mal so Notiz nimmt. Denn Cross zwingt einem - sofern man denn will, sprich: sofern man Jimi Hendrix nicht nur als toten Giganten vergötzt - die Auseinandersetzung geradezu wunderschön auf: Sklavenhandel, de jure rassistischer Gesellschaftsalltag in den Staaten, liberales London, wiederum Parallelgesellschaften in den USA, etc. Es ist ein Fundus!

Wie im Guten, so im Schlechten, denn Cross offenbart, nicht selten sehr diffizil, die Abseiten und Aborte eines Megastars wie Hendrix. Drogenexzesse können hier noch am ehesten nachvollzogen werden. ... Da ich nicht recht weiß, wo anzufangen, halte ich's kurz: Der in der Tat unermessliche Verbrauch an Frauen, das stete Sehnen nach Geborgenheit, das Weib, die Muse als zentrales Besitz- und Nutzobjekt. Das mag alles - trotz oder gerade wegen der sich damals explizit abschälenden counterculture - durchaus sexuell befreit gerochen haben. Cringeworthy ist das - 2021 gelesen - trotzdem allemal. Folglich tun sich Schluchten in der allgemeinen Auffassung eines gesellschaftlich wie kulturell anerkannten Genies auf, ganz klar. Cross macht genau das lesbar.

Und die eigene Prägung wird auch klarer: Denn weshalb anno 2021 Hendrix und dessen zweifelsfrei unermesslicher Einfluss auf die Rock (und Metal!) Musik überhaupt noch relevant ist, hat ganz klar seinen Ursprung in Erinnerungen wie jenen, dass der eigene alte Herr zu Purple Haze am Steuer so schwer ausflippte, dass er beinahe die Kontrolle übers Fahrzeug verlor ...

PS: Ich hätte unglaublich gerne über Hendrix' Musik geschrieben! Aber sein Einfluss ist - siehe oben - derart zeitlos und permanent präsent, was bitte könnte ich noch dazu sagen ...?