A review by rubywarhol
Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt by Peter Stamm

5.0

Surreal und magisch. Zarte, detaillierte Beobachtungen, mitreißend emotional erzählt; man kann die schmerzhaften Emotionen beinahe fühlen durch die atmosphärische, ästhetische Sprache. Man wird direkt gepackt und in die Geschichte hinein gezogen; zuerst weiß man nicht, was real ist und was ein Traum, da alles mit dem gleichen verträumten Realismus erzählt wird. Auch wird bis zum Ende nicht geklärt, ob es sich bei der gesamten Geschichte um eine Halluzination oder einen Traum handelt oder ob es in dieser fiktionalen Welt tatsächlich Zeitreisen, Doppelgänger und eine ständige Wiederholung der Geschichte gibt.

Immer wieder versucht die junge Lena Details zu finden, die sich vom Leben der alten Magdalena unterscheiden, um zu beweisen, dass Christoph verrückt ist, aber er hat für alles eine Erklärung und es scheint, als seien sie tatsächlich gleich. Ihre Liebesgeschichte, verfasst von Lenas Freund, ist genau das Buch, das Christoph vor 16 Jahren geschrieben hat. Und es wird immer seltsamer.
Interessant fand ich auch die Tatsache, dass das Buch von einem Autoren geschrieben wurde, der über einen Autoren schreibt, der über einen Autoren schreibt.

Insgesamt war es einfach wunderbar poetisch, spirituell und ein bisschen verrückt, und außerdem die perfekte Länge für ein bis zwei Zugfahrten. Definitiv eins der besten Bücher, die ich jemals gelesen habe.





Lieblingszitate:

- Es war die Wetterlage, die ich wie keine andere mit meiner Kindheit verband, eine kalte Welt, grau und diffus und zugleich geborgen, in der alles, was nicht ganz nah war, nicht zu existieren schien. (...) Vielleicht hatte ich deshalb zu schreiben begonnen, um die Landschaft, die Sicherheit meiner Kindheit wiederzugewinnen, aus der ich mich selbst vertrieben hatte.
- Schon auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel hatte mich die Mischung von Vertrautem und Neuem irritiert und beunruhigt. Selbst die Gebäude, die noch immer aussahen wie in meiner Jugend, kamen mir fremd vor, als stünden sie in einem Museum, losgelöst von ihrer Funktion und ihrem Kontext.
- Das Ende der Geschichte kann ich Ihnen nicht erzählen, sagte ich, ein Ende haben Geschichten nur in Büchern. Aber ich kann Ihnen erzählen, was weiter geschah.
- Als Magdalena das nächste Mal für eine Woche wegfuhr, fing ich doch an über sie zu schreiben, kleine Szenen aus unserem Leben, eher Bilder als Geschichten. Wie wir in einem Möbelgeschäft auf Betten probelagen und der Verkäufer sie anschaute, als würde er selbst gerne mit ihr da liegen, wie wir die Küche neu strichen und wie betrunken waren von den Dämpfen der Farbe, wie wir an einem regnerischen Tag nicht aus dem Bett kamen und dann doch, und wie ich zur Bäckerei rannte, den Sprühregen im Gesicht, und plötzlich daran dachte, wegzulaufen, obwohl ich so glücklich war wie nie zuvor.
- Wir gingen weiter die Straße entlang, langsamer jetzt als vorhin, es kam mir vor, als bewegten wir uns durch eine Traumwelt, in der alles möglich war, aber nichts von Bedeutung. Ich liebe dich immer noch, sagte ich schließlich leise.
- Es war wie in einem Traum, in dem alles ganz klar zu sein scheint, aber sich sofort entzieht, wenn man genauer hinzuschauen, sich darauf zu konzentrieren versucht. Meine Erinnerung an das Buch bestand nicht aus Wörtern und Sätzen, sondern aus Gefühlen, die viel präziser sind, als jeder Gedanke es jemals sein könnte, aber zugleich viel schwerer zu fassen.
- Ich denke an mein Leben, das noch gar nicht stattgefunden hat, unscharfe Bilder, Figuren im Gegenlicht, entfernte Stimmen.