A review by _tirilu
Angelfall, by Susan Ee

5.0

Viele sagen, dass “Angelfall” nur eine Nachmache von “Die Tribute von Panem” ist. Das stimmt aber nicht. Sicher, es gibt Parallelen. Eine Welt im Chaos. Eine große Schwester, die für das Überleben der Familie sorgt. Eine hilflose kleine Schwester. Eine psychisch kranke Mutter. Und eine Heldin, die gar keine sein will, sondern sich nur auf das Wohl ihrer Familie konzentriert.
Aber ganz ehrlich, trotz dieser generellen Gemeinsamkeiten ist “Angelfall” doch etwas vollkommen anderes.
Wir haben es hier mit einem (post)apokalyptischen Roman zu tun, der – und das war das Erschreckende – nicht nach einem dritten Weltkrieg oder einer Naturkatastrophe spielt, sondern in der jetzigen Zeit und nächste Woche schon über uns hereinbrechen könnte.
Da haben wir Penryn – eine großartige Protagonistin, die die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt, was bedeutet, dass alles, was Penryn nicht weiß, auch der Leser nicht erfährt. Das hat mich ehrlich gesagt an manchen Punkten ein bisschen gestört. Ich war begierig etwas über die Hintergründe herauszufinden, bis ich begriffen habe, dass ich mich einfach noch ein bisschen gedulden muss. Dass die Geschichte ihr eigenes Tempo hat und ich schon alles erfahren werde, was ich wissen muss.
Penryn ist pragmatisch und zielgerichtet und konzentriert sich auf das, was als nächstes zu tun ist. Sie will nicht die Welt retten – sie will nur ihre Schwester wiederhaben. Dafür verbündet sie sich sogar mit dem Feind – Raffe. Sie hat es definitiv nicht leicht gehabt in ihrem Leben und das merkt man der Figur unterschwellig auch an, allerdings verfällt sie nie in Selbstmitleid, sie jammert nicht und tut das, was getan werden muss. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon jemals einer so starken und pragmatischen Buchfigur begegnet bin.
Über Raffes Vergangenheit erfährt man nicht viel. Man erfährt überhauptnicht viel über Raffe. Er ist ruhig und sagt eigentlich nicht viel und ist nur mit Penryn unterwegs, weil sie seine Flügel als Geisel hält und er sie braucht, um zum Engelshorst zurückzukehren. Generell bleiben die beiden nicht zusammen, weil sie sich mögen, sondern weil sie sich brauchen. Eine reine Zweckgemeinschaft. Was Raffe angeht, musste ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Raffe kein Mensch ist. Er sieht zwar so aus, ist aber nicht wirklich menschlich. Er ist kein Mensch. Er ist kein Mensch. Er ist kein Mensch. Es ist so leicht, das zu vergessen und ich verstehe, warum auch Penryn ab und an dieses Problem hat und dann ein mentales Gummiband schnalzen lässt.
In “Angelfall” wird absolut nichts beschönigt. Weder die Reise noch das Verhalten der Charaktere noch ihre Interaktion mit anderen. Die Welt ist kalt und hart geworden und über dem ganzen Buch hängt dieser Geruch von Apokalypse und Verzweiflung und Egoismus und das Fegefeuer ist schon so nah, dass sich einem die Haut vom Genick schält. Es ist ein Buch über Leute, die einfach nur am Leben bleiben wollen und in etwas hineinrutschen, das sie nicht kontrollieren können. Ein Buch mit Gewalt und Action, mit Misstrauen und Egoismus und Loyalität. Es ist voller Überraschungen und Twists und hält den Lesen – also in dem Fall mich – am äußersten Rand des Stuhls, bereit vor Spannung aufzuspringen und im Zimmer auf und ab zu tigern.
Falls das jetzt noch nicht klar genug ist: Ich finde das Buch toll. Ich mag die Charaktere, ich mag die Spannung, ich mag die Geschichte. Und ich will wissen wie’s weitergeht.