A review by stresybook
Allein by Daniel Schreiber

reflective medium-paced

3.5

Was ich gut an dem Buch finde und wie es mich zum Nachdenken brachte:
Was ich sehr gut an dem Buch finde, ist der Einblick in den Selbsthass, den eine queere Person durch die Stigmatisierung queerer Menschen in der Gesellschaft entwickeln kann. Das Bewusstsein dafür, dass queere Menschen seelisches Leiden dadurch erfahren, war für mich natürlich keine neue Erkenntnis. Aber die Art und Weise, wie der Autor diesen subtilen inneren Hass beschreibt und wie sich dieser auf sein Leben und den Umgang mit anderen Personen auswirkt, war mir zwar bekannt, wurde mir jedoch durch seinen Text zum ersten Mal richtig emotional greifbar gemacht. Diese Greifbarkeit hat mich zum Nachdenken gebracht: Wie ehrlich bin ich eigentlich wirklich mit meiner eigenen Sexualität? Und habe ich vielleicht auch andere Wünsche, die ich aus Scham nicht auslebe? Für diese emotionale Greifbarkeit bin ich dem Autor dankbar.

Das zweite, was mich zum Nachdenken gebracht hat, war der Umgang mit der Ambivalenz des Lebens. Wir tun viele Dinge für eine Zukunft, für die es eigentlich keinen wirklichen Plan gibt. Ich merke oft, dass mich diese Ambivalenz schon an den Rand der Verzweiflung gebracht hat. Es stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, für die eigenen politischen und inneren Überzeugungen zu kämpfen, wenn man gegen übermächtige Kräfte antritt. Ich glaube, das letzte Kapitel versucht – mit einem etwas unglücklich gewählten Garten-Vergleich – zu zeigen, dass man diese Ambivalenz annehmen muss, um aus reiner Freiheit heraus das Gegenwärtige zu leben und für etwas zu kämpfen, auch wenn es gerade keine Lösung gibt. Indem man akzeptiert, dass man das Ziel vielleicht nie erreicht und persönlich keine Lösung hat, kann man sich in schwachen Momenten nicht darin verlieren und den konservativen Weg einschlagen. Denn man tut die Dinge, weil man an sie glaubt und sie richtig sind, und nicht, weil man sicher weiß, dass man das Problem lösen kann. 


Was das Buch leider sehr schlecht macht:
Das Thema „Alleine sein“ wird weder entstigmatisiert noch normalisiert. Es gibt eigentlich weder wirkliche Erkenntnisse noch eine gesellschaftliche Analyse dazu, warum wir immer mehr allein sind. Das hängt schließlich auch mit dem kapitalistischen System zusammen, das Egoismus fördert und gleichzeitig arme Menschen so sehr stresst, dass sie gar keine Zeit haben, Beziehungen und Bindungen aufzubauen. Das wirkt sogar etwas zynisch, wenn der Autor auf einer Trauminsel zu sich selbst gefunden hat – eine Darstellung, die den kapitalistischen Traum von Self-Care und Alleinsein widerspiegelt.

Hinzu kommen nur sehr einfache Erkenntnisse, wie etwa, dass Freundschaften nicht fürs Leben bleiben und sich ständig verändern. Diese Einsicht sollte spätestens dann bei jedem angekommen sein, wenn die Schulzeit endet oder Freunde die Stadt verlassen. Der „Freundschafts-Traum“, dass Freundschaften ewig halten, ist schließlich auch nur eine Perversion des menschlichen Bedürfnisses nach Besitz.

Ich möchte betonen, dass ich das Buch nicht gekauft habe, weil ich mich allein fühle – damit komme ich schon lange ganz gut zurecht. Eine WG-Kollegin hatte es mir empfohlen und gemeint, dass man es mal lesen könne.

Ein weiterer Punkt, der mich gestört hat, ist die endlose Analogie mit dem Garten. Diese hat das Buch an manchen Stellen für mich wirklich zäh gemacht. Ähnlich ging es mir mit den ausführlichen Beschreibungen der Urlaubsreisen auf der Insel, bei denen ich nicht verstanden habe, warum sie so prominent im Buch vertreten sind.

Würde ich das Buch empfehlen?
Ja, aber nicht für alle. Ich glaube, ich würde es jedem cis-Mann empfehlen, weil es mir eine neue Ebene des emotionalen Verständnisses für queere Personen und auch für meine eigene Identität eröffnet hat.

Würde ich das Buch Menschen empfehlen, die ein Werk suchen, das ihnen hilft, das Alleinsein zu verstehen und besser damit klarzukommen? Nein, nicht wirklich. Ebenso wenig würde ich es Menschen empfehlen, die eine tiefgehende gesellschaftliche Analyse dieses Themas erwarten.

Fazit:
Ein Buch, das man lesen kann, das aber in vielen Punkten entweder nicht weitreichend genug oder pseudo-tiefgründig ist.


(Free Palästina)