A review by leherb
Spectrum by Ethan Cross

1.0

Ich weiß, ich bin gerade das schwarze Schaf, was die Bewertungen für dieses Buch angeht.

Aber ich habe einen bestimmten Grund dafür: Ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit über die Repräsentation von Menschen auf dem Autismus-Spektrum und bin so über dieses Buch gestolpert. Und aus dieser Perspektive ist "Spektrum" leider (so gut wie) absoluter Müll. Man merkt, an den langen Reden von Carter, dass der Autor zumindest ansatzweise recherchiert hat. Dabei sind allerdings einige Informationen schon längst überholt, oder sogar schlichtweg falsch. Nein, Menschen mit Asperger sind nicht überdurchschnittlich hochintelligent, ein kleiner, nicht signifikanter Prozentsatz von ihnen ist das.

Da sind wir übrigens schon bei meinem zweiten riesigen Kritikpunkt angekommen: August Burke redet selbst fast gar nicht über seinen Autismus, außer im inneren Monolog rumzuheulen, wie schwer es doch sei, mit Menschen zu reden, obwohl er genau das im Text dann ohne Probleme macht. Stattdessen wird die Erklärung seinem "Mentoren" Carter aufgedrückt, der Burke dabei stark orientalisiert und Autismus romantisiert. Es wird nämlich immer so dargestellt, als seien Burkes Probleme, mit Menschen umzugehen (die er, wie gesagt, gar nicht unbedingt hat!), der Preis, den er für seinen hohen IQ zahlt. Was bedeutet das bitte für Autisten ohne diesen IQ? In "Spektrum" werden sie dadurch als wertlos dargestellt.

Mal ganz abgesehen davon, dass Burke fast das ganze Buch gar nicht dabei sein möchte, weil er lieber an seinen Autos rumschrauben würde, aber nein, sein Vater und Carter und alle um ihn herum sagen, dass er es der Welt schuldet, seinen Intellekt zu etwas Gutem zu benutzen. Newsflash: er schuldet niemandem irgendwas! Wenn er für den Rest seines Lebens Reifen wechseln möchte, dann ist das sein Recht! Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr es mich aufregt, dass sie ihn am Ende rumkriegen und er bei der Taskforce mitmacht. Dass Carter diese "Spektrum" nennt, hat mich fast zum Heulen vor Wut gebracht. So viel dazu, dass man sich nicht von Autismus definieren lässt.

Nächster Punkt: seine Intelligenz. August Burke ist der personifizierte Deus Ex Machina. Jedes Mal, wenn irgendetwas gebraucht wird (Hacking, Sprachen, kuriose Papers von vor zehn Jahren ... Kampfsportarten?), Überraschung, Burke hat einen Doktor darin! Er spricht 26 Sprachen und hat einen schwarzen Gürtel. Extrem unrealistisch. Selbst wenn (wenn) Menschen mit Asperger höchst intelligent sind, haben sie vielleicht drei Sonderinteressen. Das sind Themen, in denen sie sich überdurchschnittlich gut auskennen, etwa so, wie Burke bei etwa zwanzig Themen hier.
Allgemein wirkt es so, als habe Cross zwar recherchiert, aber sich entweder nichts aufgeschrieben und aus Erinnerung dieses Buch geschrieben, oder als habe er sich rausgepickt, was ihm denn am Besten gefällt. Nichts, was Leser zu sehr entfremdet. Muss sich ja immer noch verkaufen, da kann man nicht zu tief auf Autismus eingehen.

(Neben der Repräsentation von Autismus möchte ich auch noch einmal kurz ansprechen, dass es dezent merkwürdig ist, einen schwarzen Mann einmal als den Hauptantagonisten und dann auch noch so unmenschlich darzustellen, im Gegensatz zu hauptsächlich weißen Protagonisten, und das Ganze auch noch in Südafrika. Nur mal so am Rande.)

So, ich bin fertig mit meiner Predigt. Mir ist bewusst, dass es vermutlich gar nicht das Ziel des Autors war, Autismus besonder akkurat darzustellen, aber wenn man so ein sensibles Thema anbringt, sollte man sich vorher mehr als so ein bisschen halt informieren. Und bitte, Ethan Cross, investiere in Sensitivity Readers! Wenn auch nur ein Mensch mit ASD da drüber gelesen hätte, würde ich diesen Block Text nicht schreiben. Apropos: falls diese Kritik jemand mit Autismus liest, ich bin offen dazu, meine Meinung zu ändern. Bin ja auch alles andere als ein Profi.